Seit bald 50 Jahren stellt das Sams Übersetzerinnen und Übersetzer in aller Welt vor schier unlösbare Aufgaben. Nur wenige wagen sich an die Herausforderung, die Sprachspielereien des frechen Kerlchens im Taucheranzug und mit den blauen Wunschpunkten zu übersetzen – aber wenn, dann stehen sie dem Original in puncto Erfindungsreichtum meist in nichts nach.
1973 veröffentlichte der Oetinger Verlag Paul Maars Eine Woche voller Samstage, das schnell zum Kinderbuchklassiker avancierte. Mittlerweile hat die Reihe zehn Bände – 2020 erschien Das Sams und der blaue Drache – und es gibt das Sams als Hörspiel, Augsburger Puppenkiste und Kinofilm. Doch trotz des großen Erfolgs im deutschsprachigen Raum scheuen sich viele ausländische Verlage, das „unübersetzbare“ Sams in andere Sprachen übertragen zu lassen. Das liegt vor allem an der Fülle von Wortspielen, mit denen es seine jungen Leserinnen und Leser unaufhörlich bombardiert.
Wortspiele sind bekanntermaßen eine knifflige Herausforderung beim Übersetzen, weil dabei Inhalt und Form so eng miteinander verbunden sind. Wenn man Glück hat, bietet sich auch in der Zielsprache ein passendes Äquivalent an, doch manchmal muss man nach langem Grübeln einfach die Segel streichen. Oder man kompensiert die Spielerei an anderer Stelle, sodass insgesamt das Gleichgewicht gewahrt bleibt – schließlich übersetzt man nicht einzelne Sätze, sondern Texte. Aber was tun, wenn der gesamte Text auf einem Wortspiel aufbaut? Dann ist Weglassen ebenso wenig eine Option wie das Verlagern an eine andere Stelle, denn das brächte das Fundament des Buchs ins Wanken.
Im ersten Sams-Band erlebt der schüchterne Herr Taschenbier eine bemerkenswerte Woche: Am Sonntag scheint die Sonne, am Montag kommt sein Freund Herr Mon mit einem Strauß Mohnblumen zu Besuch, am Dienstag hat er wie gewöhnlich Dienst und am Mittwoch ist Mitte der Woche. So weit, so gut, doch als es am Donnerstag blitzt und donnert und er am Freitag überraschend frei hat, wird Herr Taschenbier stutzig. Nach so einer Woche kann am Samstag logischerweise nur ein Sams kommen – und das tut es auch. Dieses essentielle Wortspiel erfordert eine ebenso originelle wie organische Transkreation, damit die restliche Erzählung funktioniert. Es muss in jeder Sprache mehr oder weniger neu erfunden werden, denn auch wenn sich zumindest andere westgermanische Sprachen stark an der deutschen Vorlage orientieren können, funktionieren die Wochentage doch in jeder Sprache anders. Hier sind also von Anfang an Findigkeit und Fantasie gefragt. Kein Wunder, dass die meisten Verlage schon nach dem ersten Kapitel das Handtuch werfen und stattdessen lieber andere Bücher von Paul Maar anfordern.
Doch einige Unerschrockene (allen voran 1977 der Niederländer Hans W. Bakx) haben das Experiment gewagt, und so blödelt sich das Sams mittlerweile durch zwei Dutzend Sprachen: Arabisch, Bosnisch, Bulgarisch, Chinesisch, Estnisch, Griechisch, Koreanisch, Kroatisch, Japanisch, Litauisch, Niederländisch, Persisch, Polnisch, Portugiesisch, Rumänisch, Russisch, Schwedisch, Serbisch, Thai, Tschechisch, Türkisch, Ungarisch und Ukrainisch. Die meisten Übersetzungen gibt es ins Ukrainische (Band 1–5), Russische (Band 1–7) und Chinesische (alle 10 Bände).
Keine einfache Aufgabe, enthalten die Sams-Geschichten doch neben den „systemrelevanten“ Wortspielen noch jede Menge anderer Reime und Wortspielereien. Das Sams lässt sich von Tönen, Wörtern und Sätzen zu munteren Spottgedichten inspirieren. Es reimt, was das Zeug hält, und verdreht dabei die Worte, wie es ihm gefällt, wie in dieser Parodie eines alten Wiegenlieds:
Schlaf, Papa, schlaf!
Die Rotkohl ist ein Schaf.
Das Sams, das schüttelt’s Bäumelein,
Da fällt herab ein Zentnerschwein.
Schlaf, Papa, schlaf!
Das bereitete den Übersetzerinnen und Übersetzern sicher einiges Kopfzerbrechen. Doch selbst wenn in der Übersetzung möglicherweise intertextuelle Bezüge verloren gehen, kann man sich unter Rückgriff auf das eigene sprachlich-kulturelle Material ja zu kreativen Höhenflügen anspornen lassen und neue Intertextualitätsnetze herstellen.
Die kuriosen Namen seiner Figuren verballhornt Paul Maar oft noch weiter: Die Vermieterin Frau Rotkohl nennt Herrn Taschenbier verächtlich „Flaschenbier“, das Sams wiederum rächt sich für diese Despektierlichkeit mit diversen Kohlnamen: Frau Blaukohl, Grünkohl oder Rosenkohl. Das funktioniert auch auf Niederländisch hervorragend: Aus Mevrouw Koolstra (einem Nachnamen, in dem ebenfalls der kool = Kohl mit drinsteckt) wird Frau Knolstra (knol = Knolle, Rübe, aber auch Gaul), Mevrouw Koolsla (Krautsalat) oder gar Koolstronk (Kohlstrunk).
Manche Witze gehen verloren, etwa wenn im Russischen der Papagei Herr Kules wörtlich als gospodin Kules übersetzt und die Anspielung auf den griechischen Helden damit unkenntlich wird. Herr Taschenbier wird hier interessanterweise zu Herrn Peppermint bzw. „Pepperfint“ (Госпожа Брюкман была хозяйкой дома, где снимал комнату господин Пепперминт. Когда она сердилась, она всегда называла его „Пепперфинт“). Warum er einen englischen Namen verpasst bekommt und wo genau der Witz von „Pepperfint“ liegt, bleibt unklar. Gelungen ist dafür die Umbenennung von Frau Rotkohl in Frau Brjuckmann (die russische Transkription von Brückmann). Das kann man unter anderem zu Frau Chrjukmann (Хрюкман) verhunzen, was wiederum an das Grunzen (chrjuk-chrjuk) eines Schweins erinnert.
Auf Arabisch heißt Herr Taschenbier Fasih (فصيح, „der im Hocharabischen Bewanderte“), was von seiner Zimmerwirtin gern verballhornt wird zu Fasich (فسيخ, „stinkendes Fischgericht“). Frau Rotkohl heißt Bolbola (بلبلة, „Nachtigall“), vom Sams spöttisch Konbola (قنبلة, „Bombe“) genannt.
Und wie haben die Übersetzerinnen und Übersetzer das Wochentagsproblem gelöst? In der niederländischen Übersetzung Zeven dagen Zaterdag von Hans W. Bakx heißt das Sams Zater, von zaterdag (Samstag), und auch sonst lässt sich durch die Nähe der beiden Sprachen einiges übernehmen. Zondag (Sonntag) kommt von zon (Sonne), maandag (Montag) von maan (Mond), donderdag passt ebenso gut zu donder wie der Donnerstag zum Donner, und am vrijdag (Freitag) ist vrij (frei). Die Woche von Meneer Honnebier sieht also folgendermaßen aus: „Op zondag scheen de zon“ (am Sonntag schien die Sonne), „op maandag [komt] meneer Maan met zijn maanzaadkoekjes“ (am Montag kommt Herr Mond mit seinen Mohnplätzchen). „De volgende dag was het dinsdag. ‚Dinsdag dienstdag‘, zei meneer Honnebier altijd, want dan had hij dienst.“ („Der nächste Tag war der Dienstag. ‚Dinsdag Diensttag‘, sagte Herr Honnebier immer, denn dann hatte er Dienst.“) Der niederländische „Dinsdag“ hat zwar nichts mit Dienst zu tun, klingt aber so ähnlich, hier spielt der Übersetzer also mit dem Klang. Das größte Problem ist der Mittwoch, denn in woensdag steckt kein schönes Wort wie „Mitte“. Also erfindet der Übersetzer einen Fluss namens Woensel: „Op woensdag maakte meneer Honnebier na zijn werk een flinke wandeling. Langs de Woensel.“ („Am Mittwoch machte Herr Taschenbier nach der Arbeit einen ausgedehnten Spaziergang. Entlang der Woensel.“) Danach läuft es wieder reibungslos: Am Donnerstag gibt es „donder“ (Donner), am Freitag ist frei (vrijdag vrij), und, logisch: „Zaterdag komt het Zater“.
In Valentin Ostrowskis russischer Übersetzung Семь суббот на неделе heißt das Sams Subastik (von subbota = Samstag). Der russische Herr Mon, der in Anlehnung an ponedelnik (Montag) den exotischen Namen Ponedelkus trägt, bringt statt Mohnblumen eine Tüte Krapfen (pontschiki) mit. Am Dienstag (wtornik) kommt Frau Rotkohls Neffe vorbei, ein wtorogodnik (Sitzenbleiber), der sich bei den Hausaufgaben helfen lassen will. Sreda (Mittwoch) bedeutet praktischerweise auch „Mitte der Woche“. Als am Donnerstag (tschetwerg, der „vierte Tag“) im Kino der Film „Vier gegen den Kardinal“ anläuft, wird Herr Peppermint langsam stutzig. Freitag (pjatniza) stammt zwar von der Ordinalzahl pjatyj (fünfter) ab, doch der Übersetzer optiert stattdessen für das ähnlich klingende Wort pjatno („Fleck“): Am Freitag wird die Ehre von Herrn Peppermints Firma befleckt, weil sein Chef den Schlüssel verlegt hat und das Büro zum großen Ärger der Kunden geschlossen bleibt.
Теперь, сказал себе господин Пепперминт, все ясно — ни о каких случайных совпадениях не может быть и речи: в понедельник — господин Понеделькус с пончиками; во вторник — Второгодник; среда, как всегда, посреди недели; в четверг — премьера фильма «Четверо против кардинала» в соседнем кинотеатре; в пятницу — пятно на чести фирмы.
Den Sonntag lässt Ostrowski übrigens einfach weg. Ob ihm die religiöse Assoziation mit „Auferstehung“ (der wörtlichen Bedeutung des russischen Worts für Sonntag, woskressenje) zu ernsthaft für das frivole Sams war?
Im Japanischen heißt das Sams Doyon, und das Übersetzerduo Koga Yoshihiro und Funabashi Naoko kann sich in いつも土よう日ドヨンの日 (Itsumo Doyōbi Doyon no Hi) der im Japanischen ohnehin sprechenden Wochentagsnamen bedienen: Dienstag etwa heißt 火曜日 (kayōbi = Feuer-Wochentag) und Mittwoch 水曜日 (suiyōbi = Wasser-Wochentag). Am Wassertag gibt es also einen Wasserrohrbruch im Hause Rotkohl, und am Feuertag setzt Taschenbier versehentlich die Tischdecke in Brand.
Der arabische Sams-Übersetzer Mahmoud Hassanein hat seiner Übersetzungsstrategie sogar einen ganzen Aufsatz gewidmet.1 In „Das Sams spricht Arabisch“ vergleicht er den Übersetzenden mit einem Regisseur, der ein Gespür dafür entwickeln muss, wie er die Geschichte in einem anderen Medium – der Übersetzung – mit adäquaten Mitteln der Zielsprache neu erzählen kann, um den gewünschten Erfolg zu erzielen.
Im modernen Arabisch haben die Wochentage keine Eigennamen, sondern werden einfach durchnummeriert: der erste, der zweite, der dritte… Auf der Suche nach einer kreativen Lösung stieß Hassanein auf alte, sprechende Wochentagsnamen: Montag hieß früher ahwan (أهون), was auch ein Personenname sein kann, und so wird Herr Mon zu Herrn Ahwan. Auch die frühere Bezeichnung für Donnerstag (moanes, مؤنس) kann ein Name sein, deshalb hört der arabische Herr Taschenbier an diesem Tag seinen Lieblingssänger Moanes im Radio. Allerdings sind diese Bezeichnungen heutzutage in Vergessenheit geraten, deshalb greift der Übersetzer zu einem weiteren Kniff, um den Sams-Auftritt erfolgreich einzuleiten: Als das Sams verblüfft fragt, wie Herr Taschenbier denn seinen Namen erraten habe, beruft sich der nicht wie im Deutschen schlicht auf logisches Denken, sondern zitiert zwei altarabische Gedichtzeilen, in denen die Wochentagsnamen vorkommen, und erklärt so den Umstehenden (und zugleich den Leserinnen und Lesern) deren Bedeutung:
Sonntag (أول awwal) ist Anfang (أول, awwal) der Woche, am Montag (أهون, ahwan) kommt Herr Ahwan zu Besuch, Dienstag (جبار, gubar) verstreicht umsonst (جباراً, gubaran) im Dienst, Ende (دبار, debar) des Mittwochs weht ein Westwind (دبور, dabur), am Donnerstag (مؤنس, moanes) hört er seinen Lieblingssänger Moanes im Radio, und am Freitag (عروبة, aruba) feiert er den Tag der Eloquenz (العروبة, aruba) mit der Lektüre von Gedichten. Der „im Arabischen bewanderte“ Herr Fasih alias Taschenbier assoziiert die seltsame Woche gleich mit den alten Namen und weiß, dass das Sams demnach nur Schayar (شيار) heißen kann. So wird das allgemeine Wissensdefizit aufgeklärt, und die Geschichte nimmt ihren Lauf.
Die Beispiele zeigen nicht nur, wie anspruchsvoll die Übersetzung von Kinderliteratur sein kann, sondern auch, wie die Übersetzung des „Unübersetzbaren“ gelingt, wenn man nicht an der Bedeutungsoberfläche der Worte klebt, sondern die Funktion des Wortspiels – in diesem Fall den Sams-Auftritt logisch vorzubereiten – mit anderen sprachlichen Mitteln neu in Szene setzt.
Auch die Story des aktuellen Bandes Das Sams und der blaue Drache baut auf einem Wortspiel auf. Als das Sams sieht, wie Kinder auf der Wiese bunte Drachen steigen lassen, wünscht es sich mithilfe der Wunschmaschine ebenfalls einen Drachen. Sams-Fans ahnen es: Statt des blauen Papierdrachens steht auf einmal ein quicklebendiger blauer Glücksdrache vor ihm – Komplettchaos vorprogrammiert. Mal sehen, was sich die Übersetzerinnen und Übersetzer in ihren Sprachen für die deutschen Fast-Homonyme „Drache“ und „Drachen“ alles einfallen lassen!