Im Por­trait: Hel­ga van Beuningen

Leipzig 2024 steht ganz im Zeichen der „flachen Länder“: Helga van Beuningen hat das Übersetzen aus dem Niederländischen professionalisiert und Pionierarbeit geleistet. Von einer beeindruckenden Karriere. Von

Foto der Übersetzerin Helga van Beuningen.
Die Übersetzerin Helga van Beuningen erzählt von ihrer Arbeit. Foto: privat

Die klei­ne Nord­bahn zuckelt lang­sam in den Bahn­hof von Bad Sege­berg. Durchs Fens­ter sehe ich schon eine groß gewach­se­ne Frau in Leder­ja­cke, die suchend die Fahr­gäs­te mus­tert. Es ist zwar erst unser zwei­tes Tref­fen, aber es hat sich schon eine gewis­se Rou­ti­ne ein­ge­stellt: Hel­ga van Beu­nin­gen holt mich vom Bahn­hof ab, wir fah­ren im Auto zu ihrem Haus, wo ihr Mann mit frisch gekoch­tem Hähn­chen-Cur­ry auf uns war­tet. Nach dem Essen geht es an die Arbeit – Hel­ga van Beu­nin­gen weiht mich in ihren Wer­de­gang ein.

Wir las­sen uns in gemüt­li­chen Korb­stüh­len im Win­ter­gar­ten mit Blick auf sat­tes Grün nie­der. In die­sem Haus hat die 78-jäh­ri­ge in den jetzt schon fast 40 Jah­ren ihrer Selbst­stän­dig­keit unzäh­li­ge Wer­ke aus dem Nie­der­län­di­schen ins Deut­sche über­tra­gen. Man kann mit Fug und Recht behaup­ten: Hel­ga van Beu­nin­gen hat für das Über­set­zen aus dem Nie­der­län­di­schen Pio­nier­ar­beit geleis­tet – doch dazu spä­ter mehr. Zu ihren fes­ten Autor:innen gehö­ren gro­ße Namen der alten Gar­de wie Cees Noote­boom, Mar­griet de Moor, Mar­cel Möring und A.F.Th. van der Heij­den, aber auch die neu­en Shoo­ting­stars der Lite­ra­tur, wie Lize Spit und Marie­ke Lucas Rijneveld.

Marie­ke Lucas Rijn­eveld? Ich bin neu­gie­rig. Bald soll der neue Roman Het ver­driet van Sigi F. in den Nie­der­lan­den erschei­nen und mir krib­belt es schon in den Fin­gern – ich brau­che die­ses Buch! Lei­der wur­de der Erschei­nungs­ter­min ver­scho­ben, und auch Hel­ga van Beu­nin­gen kann mir – trotz guter Kon­tak­te als Stamm­über­set­ze­rin – kei­ne Infos zur Ver­öf­fent­li­chung geben. Na gut, dann wen­den wir uns eben von der Gegen­wart ab und der Ver­gan­gen­heit zu, schwen­ken von dem, was van Beu­nin­gen noch über­set­zen wird, zu dem, was von ihr schon über­setzt wur­de – und das lie­fert unend­lich viel Gesprächs­ma­te­ri­al. Aber wie kam sie über­haupt zur nie­der­län­di­schen Spra­che? Hat­te das etwa mit ihrem doch sehr nie­der­län­disch klin­gen­den Nach­na­men zu tun?

Nie­der­län­de­rin ist Hel­ga van Beu­nin­gen, gebo­ren 1945 im Süden Deutsch­lands, jeden­falls nicht. Auf mei­ne Fra­ge, wie sie zur nie­der­län­di­schen Spra­che gekom­men ist, ant­wor­tet sie knapp: „Durch mein Stu­di­um.“ Dann holt sie aber doch wei­ter aus. Sie kom­me aus einer mul­ti­l­in­gua­len Fami­lie, erzählt sie. Ihr Vater hat­te neben Eng­lisch und Fran­zö­sisch auf der Schu­le auch Latein und Alt­grie­chisch gelernt. Außer­dem sei­en ihre Eltern bei­de Deutsch-Bal­ten gewe­sen, berich­tet sie. Auf­ge­wach­sen war ihr Vater in Deutsch­land, ihre Mut­ter jedoch in Riga. Mut­ter und Groß­mutter spra­chen unter­ein­an­der Let­tisch oder Rus­sisch, wenn die Kin­der nichts ver­ste­hen soll­ten. All die­se Spra­chen schwirr­ten in van Beu­nin­gens Kind­heit her­um und beein­fluss­ten sie maß­geb­lich: „Ich hat­te immer frem­de Spra­chen im Ohr, ich habe sie nicht ver­stan­den, aber sie haben mich maß­los fas­zi­niert. Wenn ich mit mei­nem Vater spa­zie­ren ging, habe ich ein­fach so Wor­te erfun­den und gefragt ‚ist da irgend­was dabei von irgend­ei­ner Spra­che, die es wirk­lich gibt?‘, und wenn er dann sag­te ‚ja, im Fran­zö­si­schen, da gibt es ein Wort, das so klingt‘, dann war ich überglücklich.“ 

In den sech­zi­ger Jah­ren, so van Beu­nin­gen, gab es nicht all­zu vie­le Mög­lich­kei­ten, wenn man etwas mit Spra­chen machen woll­te. Es sei denn, man wur­de Leh­re­rin – aber das woll­te sie auf kei­nen Fall. Vor einer Schul­klas­se zu ste­hen, konn­te sie sich beim bes­ten Wil­len nicht vor­stel­len. So zog es die jun­ge van Beu­nin­gen nach Hei­del­berg, wo sie Über­set­zen stu­dier­te. Zwei Fremd­spra­chen muss­te man sich dafür aus­su­chen, van Beu­nin­gen ent­schied sich kur­zer­hand für Eng­lisch und Spa­nisch. Nach­dem sie fest­ge­stellt hat­te, dass ihr „roma­ni­sche Spra­chen so viel weni­ger lie­gen als ger­ma­ni­sche Spra­chen“, stieß sie auf das Fach Nie­der­län­disch. Und dann spiel­te die Fami­li­en­ge­schich­te plötz­lich doch eine Rol­le: Hel­ga van Beu­nin­gen erin­ner­te sich an schö­ne Urlau­be in den Nie­der­lan­den – ihre Fami­lie tausch­te die Woh­nung für die Feri­en regel­mä­ßig mit einer nie­der­län­di­schen Fami­lie. Dort sog Hel­ga van Beu­nin­gen im Teen­ager­al­ter die frem­de Spra­che auf und eig­ne­te sich schnell ers­te Kennt­nis­se an. Außer­dem gab es auch noch die 400 Jah­re zurück­lie­gen­den Fami­li­en­wur­zeln im Nach­bar­land – van Beu­nin­gens Ent­schluss stand fest: Statt Spa­nisch woll­te sie Nie­der­län­disch studieren.

Spa­nisch hat van Beu­nin­gen dann spä­ter aber doch noch gelernt – aller­dings auf eige­ne Faust, um mit ihrem Mann im Cam­per mona­te­lang durch abge­le­ge­ne Land­stri­che in Süd­ame­ri­ka zu rei­sen. Sowie­so hat ihre Sprach­be­geis­te­rung nie nach­ge­las­sen. Weil das Ehe­paar ein Haus in Grie­chen­land hat, in dem es meh­re­re Mona­te pro Jahr lebt, spricht van Beu­nin­gen auch Griechisch.

Aber zurück nach Hei­del­berg: Kurz vor dem Stu­di­en­ab­schluss wur­de van Beu­nin­gen vom Insti­tuts­di­rek­tor zu einem Gespräch ein­ge­la­den. Eine Stel­le als Lek­to­rin für das Über­set­zen aus dem Nie­der­län­di­schen war frei gewor­den, und sei­ne bei­den Mit­ar­bei­ter hat­ten van Beu­nin­gen für die offe­ne Stel­le emp­foh­len. Und die sag­te prompt zu. Fünf Tage nach ihrer letz­ten münd­li­chen Prü­fung ging das neue Semes­ter los – für sie dies­mal aber als Dozen­tin. Fünf­zehn Jah­re lang hat­te Hel­ga van Beu­nin­gen die Stel­le am Insti­tut für Über­set­zen und Dol­met­schen inne, und in die­ser Zeit kur­zer­hand alles, was ihr als Stu­den­tin nicht gefal­len hat­te, geän­dert. Die Über­set­zungs­wis­sen­schaf­ten ent­wuch­sen damals gera­de erst den Kin­der­schu­hen. Der damit ein­her­ge­hen­de Man­gel an stich­hal­ti­gen Beur­tei­lungs­kri­te­ri­en stör­te sie am meis­ten, und so erar­bei­te­te sie selbst eine gan­ze Palet­te an sinn­vol­len Para­me­tern, damit die Stu­die­ren­den nicht mehr mit Sät­zen wie „das klingt bes­ser“ abge­speist wer­den muss­ten. Und auch heu­te noch sagt van Beu­nin­gen bestimmt: 

„Ich bin Prak­ti­ke­rin geblie­ben, aber ich kann mei­ne eige­nen Über­set­zungs­ent­schei­dun­gen alle begründen.“

Die meis­ten Absolvent:innen arbei­te­ten spä­ter in der Wirt­schaft und der Poli­tik – mit Lite­ra­tur­über­set­zen hat­te der Stu­di­en­gang nichts zu tun. Doch Hel­ga van Beu­nin­gen hat­te eine klei­ne Arbeits­ge­mein­schaft gegrün­det, die gemein­sam ers­te Schrit­te im Über­set­zen von Lite­ra­tur wag­te. Die Lie­be zur Lite­ra­tur, und auch die Lie­be fürs Lite­ra­tur­über­set­zen, steck­te ein­fach in ihr: „Wir sind eine Fami­lie von fana­ti­schen Lesern, Bücher sind für uns das Größ­te“, sagt sie wie aus der Pis­to­le geschos­sen, als ich sie nach den Lese­ge­wohn­hei­ten ihrer Fami­lie frage.

Und die Lie­be führ­te sie schließ­lich auch in die Selbst­stän­dig­keit. In ers­ter Linie war es aller­dings nicht die Lie­be zur Lite­ra­tur, son­dern die klas­si­sche roman­ti­sche Lie­be, wie wir sie aus Fil­men und Büchern ken­nen. Hel­ga van Beu­nin­gen hat­te Urlaub im Sene­gal gemacht – und dort einen deut­schen Mann getrof­fen. Da ihr Part­ner eine Fir­ma in Bad Sege­berg hat­te und nicht umzie­hen konn­te, ent­schloss sich van Beu­nin­gen dazu, die Uni­ver­si­tät Hei­del­berg zu ver­las­sen und sich man­gels frei­er Stel­len an den umlie­gen­den Uni­ver­si­tä­ten in Bad Sege­berg als Über­set­ze­rin selbst­stän­dig zu machen: „Jetzt pro­bie­re ich das, was ich vier Jah­re lang stu­diert und fünf­zehn Jah­re lang unter­rich­tet hat­te, selbst in die Pra­xis umzu­set­zen. Und das war anfangs schon hart“, sagt sie über die­se Zeit.

Aus der Wirt­schaft gab es so gut wie kei­ne Reso­nanz auf ihre Anschrei­ben. Als sie im Okto­ber 1984 nach Bad Sege­berg zog, ging es weni­ge Tage spä­ter auf ihre ers­te Frank­fur­ter Buch­mes­se – mit frisch gedruck­ten Visi­ten­kar­ten in der Tasche, tin­gel­te van Beu­nin­gen von einem Ver­lags­stand zum nächs­ten, doch dort reagiert man auf ihre Bemü­hun­gen nicht gera­de inter­es­siert. Mit einer ehe­ma­li­gen Stu­di­en­kol­le­gin hat­te van Beu­nin­gen vor­ab schon eine Mar­ke­ting­of­fen­si­ve gestar­tet – zusam­men schrie­ben sie 300 deutsch­spra­chi­gen Ver­la­gen und boten ihre Diens­te als Über­set­ze­rin­nen an. Auch hier gab es so gut wie kei­ne Reak­tio­nen – höchs­tens die lee­ren Wort­hül­sen, man neh­me sie in die Übersetzer:innenkartei auf. An den ers­ten Auf­trag kamen die bei­den schließ­lich über per­sön­li­che Kon­tak­te. Die Kol­le­gin hat­te einen Draht zu Dio­ge­nes, wo gera­de eine Über­set­ze­rin für den Roman Onder pro­fes­so­ren von Wil­lem Fre­de­rik Her­mans gesucht wur­de. Nach einer Pro­be­über­set­zung bekam das Über­set­ze­rin­nen­duo den Zuschlag. Die Freu­de war groß – Her­mans gilt als einer der bedeu­tends­ten Autoren der Nie­der­lan­de. Lei­der ver­öf­fent­lich­te Dio­ge­nes nach Unter Pro­fes­so­ren kei­ne wei­te­ren Bücher von Her­mans. Van Beu­nin­gen muss­te sich wei­ter um neue Auf­trä­ge bemühen.

1985 kam eine Anfra­ge von Suhr­kamp, ob Hel­ga van Beu­nin­gen zwei Sei­ten Pro­be­über­set­zung von einem Text von Rena­te Rubin­stein anfer­ti­gen wol­le. Zu jenem Zeit­punkt war der zustän­di­ge Lek­tor des Ver­lags kurz davor gewe­sen, die Reiß­lei­ne in Bezug auf nie­der­län­di­sche Lite­ra­tur zu zie­hen. Zwar wur­den ihm immer wie­der span­nen­de Bücher vor­ge­stellt, doch die Pro­jek­te schei­ter­ten an der gerin­gen Qua­li­tät der Über­set­zun­gen. Der Nie­der­land­is­tik­pro­fes­sor Carel ter Haar, der Ver­la­ge mit Tipps über nie­der­län­disch­spra­chi­ge Neu­erschei­nun­gen ver­sorg­te, hat­te Hel­ga van Beu­nin­gen emp­foh­len. Man kann­te sich von Tagun­gen und er wuss­te um ihre fri­sche Selbst­stän­dig­keit. Bei ihr sol­le es der Lek­tor doch ein­fach mal ver­su­chen. Und die­ser Ver­such glück­te. Zufrie­den mit der Pro­be­über­set­zung erhielt van Beu­nin­gen nicht nur den Auf­trag, son­dern durf­te gleich das zwei­te Buch von Rubin­stein über­set­zen. Die nie­der­län­di­sche Lite­ra­tur im deutsch­spra­chi­gen Raum war gerettet!

Lang­sam schaff­te es Hel­ga van Beu­nin­gen, sich von Sach­bü­chern, die sie zwi­schen­zeit­lich aus dem Eng­li­schen und Nie­der­län­di­schen über­setzt hat­te, zu Lite­ra­tur hin­zu­ar­bei­ten und sich auf die nie­der­län­di­sche Spra­che zu spe­zia­li­sie­ren. Ihre Bemü­hun­gen tru­gen schnell Früch­te, „zu früh, viel zu früh“, wie sie selbst nach­drück­lich sagt. Denn sie­ben Jah­re, nach­dem sie sich selbst­stän­dig gemacht hat­te, erhielt sie gleich zwei Prei­se: den wich­tigs­ten nie­der­län­di­schen Preis für Über­set­zung, und den Kunst­preis des Lan­des Schles­wig-Hol­stein. Bei­de Prei­se waren etwas ganz Beson­de­res – der Mar­ti­nus-Nijhoff-Preis ist eine renom­mier­te Aus­zeich­nung, bei der das Oeu­vre oder ein bestimm­tes Werk einer über­set­zen­den Per­son gewür­digt wird. 

„Mir war  bewusst, was für ein gro­ßer Preis das ist, und wie pres­ti­ge­träch­tig. Ich war abso­lut der Mei­nung, dass ich noch nicht so weit war, aber ich habe natür­lich nicht Nein gesagt.“

In Schles­wig-Hol­stein wur­de der Preis zum ers­ten Mal an eine Über­set­ze­rin ver­lie­hen, nach­dem es aus­führ­li­che Dis­kus­sio­nen dar­über gege­ben hat­te, ob Über­set­zen über­haupt eine Kunst­form dar­stel­le. Auch hier war van Beu­nin­gen also eine Wegbereiterin.

Nicht unwe­sent­lich für ihren Erfolg sind die Bücher von Cees Noote­boom. Und anders­rum haben Hel­ga van Beu­nin­gens bril­lan­te Über­set­zun­gen zum enor­men Erfolg des nie­der­län­di­schen Autors in Deutsch­land bei­getra­gen. Als Noote­booms Het vol­gen­de ver­haal im Deut­schen 1991 unter dem Titel Die fol­gen­de Geschich­te ver­öf­fent­licht wur­de und die Kri­tik in Jubel aus­brach, war das für van Beu­nin­gen der Kar­rie­re­durch­bruch. Als dann auch noch 1993 die Nie­der­lan­de und Flan­dern auf der Frank­fur­ter Buch­mes­se Ehren­gast waren, war sie gefragt wie nie – und die­se Auf­trags­flut ist erst in den letz­ten Jah­ren lang­sam abge­ebbt. Inzwi­schen hat Hel­ga van Beu­nin­gen knapp fünf­zig Bücher von Cees Noote­boom übersetzt.

Die Über­set­ze­rin sagt über die­se Zeit: „Ich hat­te wahn­sin­ni­ges Glück , dass zeit­gleich mein Anfang in der Selbst­stän­dig­keit, die Buch­mes­se und Noote­boom zusam­men­fie­len. Und das hat sich gegen­sei­tig ver­stärkt, jeder woll­te die Bücher, die er ein­ge­kauft hat­te, von mir über­setzt haben. Ich hät­te damals fünf­mal so vie­le Bücher machen kön­nen.“ Nach der über drei­ßig­jäh­ri­gen Zusam­men­ar­beit pfle­gen sie und der kürz­lich 90 Jah­re alt gewor­de­ne Noote­boom ein freund­schaft­li­ches Ver­hält­nis. Der Autor sei unglaub­lich loy­al und mel­de sich immer mal bei ihr, um sich nach ihr zu erkundigen.

Hel­ga van Beu­nin­gen hat meter­wei­se Lite­ra­tur über­setzt, das sieht man auch an ihrem Regal mit den Beleg­ex­em­pla­ren. „Ich ersti­cke in Büchern“ sagt sie, und erzählt, sie wol­le bald das Regal auf­räu­men, damit alle Bücher einen ver­nünf­ti­gen Platz haben. Ich stau­ne ange­sichts der Autor:innen, die gan­ze Regal­rei­hen in Beschlag neh­men. Unge­fähr sie­ben fes­te Autor:innen habe sie lan­ge gehabt, so van Beu­nin­gen, und dadurch sei sie immer ein Jahr im Vor­aus aus­ge­bucht gewe­sen – ein Umstand, von dem die meis­ten Literaturübersetzer:innen nur träu­men kön­nen. Eini­ge die­ser Autor:innen schrei­ben mitt­ler­wei­le nicht mehr oder wer­den nicht mehr in Deutsch­land veröffentlicht.

Eigent­lich hat­te sie damals schon kei­ne neu­en Autor:innen anneh­men wol­len, um lang­sam den Ruhe­stand ein­zu­läu­ten. Doch als sie De avond is onge­mak (dt. Was man sät, Suhr­kamp) las, blieb ihr nichts ande­res übrig, als den Auf­trag anzu­neh­men, das Buch beein­druck­te sie ein­fach zu sehr. Auch jetzt dür­fe sie eigent­lich kei­ne neu­en Bücher mehr lesen, doch wenn ein Text über­zeu­gend sei, schaf­fe sie es ein­fach nicht, Nein zu sagen. Ich muss lachen, aber Hel­ga van Beu­nin­gen ist es ernst:

„Wenn mich ein Buch begeis­tert, dann gibt es kein Hal­ten mehr und kei­ne ver­nünf­ti­gen Grün­de für mich, es nicht zu machen, dann will ich es nur noch machen.“

Marie­ke Lucas Rijn­eveld hat van Beu­nin­gen auch noch zwei äußerst schö­ne Momen­te in ihrer Über­set­zungs­kar­rie­re beschert: 2021 wur­de sie mit dem Strae­l­e­ner Über­set­zer­preis der Kunst­stif­tung NRW für Rijn­evelds Debüt aus­ge­zeich­net, 2022 war sie mit dem Zweit­ling Mein klei­nes Pracht­tier für den Leip­zi­ger Buch­preis für Über­set­zung nomi­niert. Die Freu­de über die Aus­zeich­nun­gen (2006 gewann sie auch noch den Hel­mut M. Braem Preis und den Else-Otten-Preis) ist immer noch spür­bar, denn Übersetzer:innen wer­den nur sel­ten ange­mes­sen gewür­digt. Als sie vom Preis und der Nomi­nie­rung für die Rijn­eveld-Über­set­zun­gen erzählt, strah­len ihre Augen. Vor der Preis­ver­lei­hung in Leip­zig sei sie unglaub­lich ner­vös gewe­sen, berich­tet sie und schil­dert die Ver­ga­be so leben­dig, dass ich selbst ganz hib­be­lig wer­de. Am Ende hat sie den Preis nicht gewon­nen, aber das stört sie nicht. In der Sekun­de der Ver­kün­dung sei sie vor allem froh dar­über gewe­sen, nicht auf die Büh­ne zu müs­sen, um eine kur­ze Dan­kes­re­de zu hal­ten. Eine Nomi­nie­rung in Leip­zig sorgt also auch nach einer so lan­gen und erfolg­rei­chen Kar­rie­re immer noch für gro­ße Emotionen.

Nach fast vier­zig Jah­ren der Selbst­stän­dig­keit, habe sie sich etwas vor dem Ruhe­stand gefürch­tet, gibt van Beu­nin­gen zu. Sie habe gedacht, sie wür­de unglück­lich sein, wenn sie nicht über­set­zen wür­de. Jahr­zehn­te­lang hat sie täg­lich min­des­tens acht Stun­den über­setzt, was bei einem geis­tig der­art her­aus­for­dern­den Job enorm ist. Sie sagt selbst, dass sie sich jah­re­lang aus­ge­beu­tet und immer nur gear­bei­tet habe. Jetzt weiß sie, nach­dem sie zum ers­ten Mal meh­re­re freie Mona­te hat­te, dass ihr das unglaub­lich gut­tue und sie end­lich Zeit zum Lesen fin­de. Aber wenn dann doch wie­der ein inter­es­san­tes Buch kommt, freue sie sich, sagt van Beu­nin­gen und sieht dabei rich­tig zufrie­den aus. Nach einer so beein­dru­cken­den und erfolg­rei­chen Kar­rie­re kann sie das auch wirk­lich sein.


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