Im Nachwort zu Audre Lordes Essaysammlung Sister Outsider schreiben Sie, dass die Lektüre „erschreckend aktuell“ sei. Beim Lesen habe ich mich gefragt, ob bestimmte politische Bewegungen nicht effektiv genug waren. Wie schätzen Sie die Entwicklungen der letzten Jahre ein? Warum sind Audre Lordes Texte immer noch so aktuell?
Marion Kraft: Diese Aktualität besteht auf allen Ebenen, das konnten wir zum Beispiel gerade beim Endspiel der Fußballeuropameisterschaft sehen, als die Spieler der englischen Nationalmannschaft nach dem Ausscheiden massiv rassistisch angegriffen wurden. Im letzten Jahr war die Ermordung von George Floyd und das Aufflammen der Black-Lives-Matter-Bewegung ein großes Thema, obwohl es diese schon viel länger gibt. In Deutschland wird dann oft gefragt, ob es solche Probleme mit Rassismus auch bei uns gäbe – die Frage ist aber vollkommen obsolet. Seit ich denken kann, erlebe ich Alltagsrassismus. Dieser ist nicht nur ein strukturell bedingtes Problem in den USA, sondern auch hier in Deutschland. Audre Lordes Texte sind „erschreckend“ aktuell, weil sich in den letzten Jahrzehnten viel zu wenig geändert hat, auch was die Repräsentanz von Schwarzen Menschen und anderen People of Color angeht. Audre Lorde hat sehr früh die Verbindungen zwischen den verschiedenen Unterdrückungsmechanismen und Rassismen aufgezeigt. Sie war auch eine der ersten, die Intersektionalität – ohne den Begriff selbst zu verwenden – betont hat. Ihre Essays sind aber auch noch auf eine andere Weise aktuell: Die Texte regen zum Nachdenken an. Sie transportieren ein gewisses Empowerment und fordern die Leser*innen zum Handeln auf. Es ist schön, dass Audre Lorde jetzt endlich auch in Deutschland mehr Aufmerksamkeit erfährt.
Audre Lorde schreibt in dem Essay „Vom Nutzen der Wut“, dass Wut eine angemessene Reaktion auf Rassismus sei. Sie haben gerade gesagt, dass Sie Ihr ganzes Leben lang Rassismuserfahrungen gemacht haben. Lässt diese Wut irgendwann nach? Macht sich nach all den Jahren auch eine gewisse Müdigkeit breit?
Die Müdigkeit stellt sich tatsächlich irgendwann ein, vor allem wenn ich merke, wie wenig sich ändert. Ich habe den Eindruck, dass viele neue Bewegungen das Rad zum hundertsten Mal neu erfinden. Zudem werden immer dieselben Fragen gestellt, auf die dann von Diskriminierung Betroffene eine Antwort finden sollen. Das ist schon ermüdend, aber es bedeutet gleichzeitig auch, dass die Wut wieder wächst. Manchmal frage ich mich, wie oft ich bestimmte Dinge noch erklären muss. Hin und wieder will ich einfach antworten: Lest doch zur Abwechslung mal Audre Lorde oder die Texte, die Schwarze Autor*innen hier in Deutschland schon vor Jahrzehnten geschrieben haben. Ich werde jetzt etwas bekannter, obwohl ich schon seit langer Zeit publiziere, doch auf einmal bin ich für die Medien die „Schwarze Übersetzerin“. Erstens bin ich nicht hauptberuflich Übersetzerin und zweitens definiere ich mich nicht ausschließlich darüber, dass ich Schwarz bin. In Verlegerkreisen heißt es immer wieder, dass sie keine Schwarzen Übersetzer*innen kennen würden. Ich habe den Eindruck, sie kennen lediglich eine. Die möchte ich aber nicht sein, weil ich nicht Stellvertreterin für eine große Gruppe von Menschen sein will. Viele denken ja auch, wenn wir jetzt eine PoC-Übersetzer*in beauftragen, dann haben wir unsere Pflicht für mehr Diversität erfüllt. Das alles sind Dinge, die mich immer noch wütend machen. Ich versuche dann – so wie es Audre Lorde forderte – diese Wut in kreatives Handeln umzusetzen.
In Ihrem Nachwort zu Sister Outsider steht, dass es sich um eine Neuübersetzung handelt. Im Feuilleton hieß es jedoch erst vor kurzem, dass Audre Lordes Essayband nun erstmalig auf Deutsch erscheine. Können Sie die Übersetzungsgeschichte des Bands kurz nachzeichnen?
Da kommt die Wut wieder auf. Es hat mich sehr geärgert, dass solche Behauptungen vom Feuilleton aufgeworfen wurden. Vor wenigen Tagen erschien ein Artikel in der Süddeutschen Zeitung, der zum ersten Mal darauf hingewiesen hat, dass schon vor vierzig Jahren ganz verschiedene Frauen* Audre Lordes Schaffen in Deutschland dokumentiert haben. Dagmar Schultz hat bereits in den 80er Jahren, ein Vierteljahr nachdem die Essaysammlung A Burst of Light in den USA erschien, die deutsche Übersetzung Lichtflut und den Band Macht und Sinnlichkeit mit Texten von Audre Lorde und Adrienne Rich im Orlanda Verlag herausgebracht. Darin waren auch Essays aus Sister Outsider enthalten. Ich selbst habe schon 1994 ausgewählte Gedichte von Audre Lorde übersetzt. Über all die Jahre hinweg haben wir viel gemacht. Als Ganzschrift ist Sister Outsider eine Erstveröffentlichung auf Deutsch, aber viele der darin enthaltenen Essays sind schon lange woanders veröffentlicht gewesen. Der Mainstream hat das nur nicht mitbekommen, deshalb schreibt nun jede größere Zeitung, dass Audre Lorde endlich auch auf Deutsch erschienen sei. Diese Behauptung macht mich wütend, weil sie verdeckt, was Frauen* so viele Jahre zuvor schon sowohl im Literatur- als auch im Übersetzungsbereich geleistet haben.
Kam der Verlag für die Übersetzung von Sister Outsider auf Sie zu?
Es sind nicht die alteingesessenen weißen Männer in den Verlagen, die auf die Idee kommen, einen Band von Audre Lorde neu aufzulegen. Eine junge Lektorin kam nach Berlin, um über Audre Lorde zu recherchieren und traf sich mit Dagmar Schultz, der sie erzählte, dass der Verlag Sister Outsider demnächst rausbringe und dafür auch schon eine Übersetzerin gefunden habe. Dagmar Schultz hat daraufhin gefragt, warum sie keine Schwarze Übersetzerin genommen hätten. Sie stellte dann den Kontakt zu mir her und irgendwann wurde ich schließlich gefragt, ob ich mir vorstellen könne, den Band zusammen mit Eva Bonné zu übersetzen. Wir haben dann beide ja gesagt – aus verschiedenen Gründen nehme ich an.
Warum haben Sie der Zusammenarbeit zugesagt? Sie hätten die Essays sicherlich auch gut allein übersetzen können.
Ich arbeite gern im Team. Außerdem war das Zeitfenster sehr klein, was bei großen Verlagen ja öfter der Fall ist. Die Zusammenarbeit war insgesamt auch eine sehr positive Erfahrung, weil wir uns gegenseitig gut ergänzt haben. Eva Bonné ist eine Vollblutübersetzerin, die keine Ruhe gibt, bis nicht jeder Satz hieb- und stichfest ist. Da gab es schon so manche längere Diskussion. Mir ging es auch darum, Audre Lordes poetische Sprache zu vermitteln, die sich ja bewusst – so wie ihr ganzes Denken – Normen widersetzt. Ich hatte das ganze Know-How zu Audre Lorde und dem politischen Kontext sowie zu bestimmten Begrifflichkeiten. Schlussendlich haben wir gute Lösungen gefunden. Wir haben es dann auch als Team geschafft, unseren Sprachgebrauch gegenüber dem Verlag weitgehend durchzusetzen. Das englische Wort „Race“ haben wir zum Beispiel nicht mit dem deutschen Wort „Rasse“ übersetzt. „Schwarz“ haben wir auch in seiner adjektivischen Verwendung groß geschrieben, „weiß“ hingegen klein und kursiv. Ich habe betont, dass deutlich werden muss, dass es bei der Verwendung von „weiß“ nicht um die Hautfarbe geht, sondern der Begriff ein Referenzrahmen ist, demgegenüber alles andere als „anders“ definiert wird. Kaum durchzusetzen war hingegen die Verwendung von genderneutraler Sprache.
Hat der Verlag gar keine Form des Genderns akzeptiert?
Doch, aber es sollte bitte kein Gendersternchen sein. Wir haben es dann sparsam verwendet und sind hin und wieder auf Partizipialkonstruktionen ausgewichen – was dem Feuilleton gleich negativ aufgefallen ist. Wir haben versucht, es nur dann zu verwenden, wenn es völlig unumgänglich war. Auf diesem Level bewegen sich die Debatten, die wir noch immer führen müssen. Ich denke, dass sich genderneutrale Sprache und ein rassismuskritischer Sprachgebrauch irgendwann durchsetzen werden, aber ich weiß nicht, ob ich das noch erlebe. Das Umdenken geht in dieser Hinsicht nur sehr langsam voran.
Ich habe den Eindruck, dass viele Menschen genderneutrale und rassismuskritische Sprache in essayistischen Texten oder Sachbüchern eher akzeptieren. Handelt es sich jedoch um Gedichte oder Romane, wird argumentiert, dass es dort mehr störe.
Tatsächlich macht es die deutsche Sprache einem nicht einfach, da sie nun einmal nicht genderneutral ist. Letztlich bleibt mir nichts anderes übrig als bei jedem Text, bei jedem Satz, bei jedem Wort neu zu überlegen, wie ich das übersetze, damit es einerseits politisch stimmig, andererseits sprachlich vertretbar ist. Noch viel mehr aufpassen müssen wir bei der Verwendung antirassistischer Sprache. Ich habe gerade eine andere Übersetzung abgeschlossen und erhielt die Lektoratsfahnen zurück, wo Begriffe wie „People of Color“ oder „indigen“ gestrichen wurden. Auf einmal liefen mir plötzlich wieder „Indianer“ und „Farbige“ durch den Text. Ich muss da jedes Mal aufs Neue die Auseinandersetzung suchen und erklären, warum eine solche Übersetzung nicht geht. Viele Verlage haben oft gar nicht im Blick, dass sich inzwischen auch ihre Leser*innenschaft verändert hat. Sister Outsider zum Beispiel wird von Menschen gelesen, die auf die Übersetzung regelrecht gewartet haben, weil Audre Lordes Texte ihre Erfahrungswelt widerspiegeln. Solche Leser*innen verletzt ein unsensibler Umgang mit Sprache. Viele Verlage haben eine Zielgruppe im Kopf, die gar nicht mehr existiert, und nehmen andere marktbestimmende Kräfte kaum wahr. Aber mit der gesellschaftlichen Veränderung verändert sich auch unsere Sprache und das wird immer so weitergehen.
Bei den Literatur*übersetzerinnen gehen die Meinungen in der Hinsicht auseinander. Einige setzen sich sehr intensiv mit dem sensiblen Umgang mit Sprache auseinander, andere tun sich damit schwerer und sehen auch nicht zwangsläufig die Notwendigkeit dafür.
Ich habe einige Anfragen von Übersetzer*innen erhalten, ob ich ein Sensitivity Reading ihrer Texte machen würde – eben wegen solcher Fallstricke. Ich hatte aber auch im Deutschlandfunk ein Gespräch mit etablierten Übersetzer*innen, die von sich gewiesen haben, dass sie so etwas bräuchten. Für sie existiert nur der Text und ihr eigenes Sprachverständnis, alles andere klammern sie aus. Beim Sensitivity Reading kommt eine andere Problematik mit ins Spiel: Übersetzer*innen werden von ihrer Arbeit ja nicht reich. Auch ein Sensitivity Reading muss bezahlt werden, das sollten die Verlage miteinkalkulieren und einsehen, dass sich diese Investition lohnt. Ich habe neulich zum Beispiel die eigentlich sehr schöne Übersetzung von Bernardine Evaristos Girl, Woman, Other (deutscher Titel: Mädchen, Frau, Etc.) gelesen, bin aber mit vielen anderen der Meinung, dass dieses „other“ im Titel ganz unterschiedliche Konnotationen hat, die „etc.“ einfach nicht einfängt. Das mag natürlich wie so oft auch eine Entscheidung des Verlags gewesen sein. So oder so werden mit einer solchen Übersetzung viele Menschen unsichtbar gemacht. Es gibt aber auch andere Stellen, die problematisch sind, zum Beispiel auch die Verwendung von „Farbigen“. Solche Fehler haben wenig mit sprachlicher Kompetenz zu tun, sondern mit dem kulturellen Kontext.
Eine Übersetzung kann also gut sein, auch wenn sie problematische Stellen enthält? Viele haben Angst, dass solche Fehler die Gesamtqualität schmälern.
Niemand ist perfekt. Gewisse Fehler passieren einem nicht noch einmal und da sollten Übersetzer*innen einfach souverän reagieren, ohne sich persönlich oder beruflich gleich infrage zu stellen. Problematisch wird es, wenn Menschen von vornherein nicht kritikfähig sind. Bei der Gorman-Debatte konnte ich das gut beobachten. Die Frage der niederländischen Aktivistin Janice Deul, warum Gormans Gedicht keine Schwarze Frau übersetzt hat, deren Erfahrungswelt ihrer mehr ähnelt, war durchaus berechtigt. Diese Debatte driftete jedoch ins Absurde ab. Viele, vorrangig Männer, haben unsinnige Fragen aufgeworfen, zum Beispiel, ob man nun tot sein müsse, um Shakespeare zu übersetzen. Jeder und jede darf alles übersetzen – ich hoffe nur, dass es auch diejenigen können, die es machen. Trotzdem bin ich der Meinung, dass die Erfahrungswelt, aus der Mensch denn selbst kommt, eine große Rolle spielt, was aber nicht heißt, dass es sich dabei um das einzige entscheidende Kriterium bei der Wahl der Übersetzenden handelt. Aus dem Blick geriet in dieser Debatte die eigentliche Sache, nämlich die mangelnde Diversität in der Branche.
Vor kurzem ist auch Ihr eigener Essayband Empowerment und Widerstand: Inspirierende Begegnungen mit Audre Lorde erschienen. Sie haben dabei Essays aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt. Was war das Übersetzen eigener Texte für eine Erfahrung? Waren Sie versucht, diese völlig neu zu schreiben?
Das Buch ist anlässlich des zwanzigsten Todestags von Audre Lorde entstanden und besteht aus Essays, die ich im Laufe der Jahre über sie und ihr Werk veröffentlicht habe, meistens in einem literaturwissenschaftlichen Kontext und auf Englisch. Ich dachte, dass es schade wäre, wenn diese Publikationen in einer Unibibliothek verstauben. Einige Essays hatte ich auch auf Lesungen und Buchpräsentationen vorgestellt. Da kamen viele Frauen*, auch einige, die Audre Lorde persönlich kannten, und haben gefragt, warum es die Essays nicht auf Deutsch gibt. Weil es schnell gehen musste, habe ich mich dann eben selbst übersetzt. Da einige der Essays schon etwas älter sind, war die Versuchung sehr groß, Änderungen vorzunehmen. Oft habe ich gedacht, das würde ich heute anders formulieren oder an der Stelle fehlt noch was. Ich musste mich ein wenig disziplinieren, weil ich kein neues Buch schreiben wollte.
Sie schreiben, dass Sie etwas zögerten, als Audre Lorde Sie gefragt hat, ob Sie ihre Gedichte übersetzen wollen. Ihre Sorge war, dass die deutsche Sprache kaum Wörter hatte „für die Bilder von den Erfahrungen Schwarzer Frauen“. Haben Sie die deutsche Sprache so hinbiegen können, dass eine Wirkungsäquivalenz trotzdem möglich war?
Ja, aber es war nicht einfach. Audre Lorde hatte die Gedichte kurz vor ihrem Tod selbst zusammengestellt und nicht die einfachsten ausgesucht. Ich habe vor allem ihr zuliebe zugesagt. Sie verstarb noch während wir an der Übersetzung saßen und es noch kein Internet oder Whatsapp gab, um im permanenten Austausch miteinander zu stehen. Mehrmals habe ich Audre Lordes Partnerin Gloria Joseph angerufen und gefragt, wie ich bestimmte Begriffe paraphrasieren kann oder was damit genau gemeint ist. Auch damals habe ich schon im Team gearbeitet und gemeinsam mit Sigrid Markmann übersetzt. Heute würde ich sicherlich auch da einiges anders machen, aber ich bin froh, dass die zweisprachige Gedichtsammlung auf dem Markt ist, auch weil es noch immer die einzige ist. Ich würde mir wünschen, dass ein größerer Verlag den Mut aufbringt, einen Gedichtband von Audre Lorde herauszubringen, auch weil viele ihrer bedeutendsten Gedichte noch unübersetzt sind. Ihre Gedichte werden hierzulande noch überhaupt nicht wahrgenommen, dabei ist ihr Gesamtwerk nur im Kontext ihrer Dichtung zu verstehen.
Mein Eindruck beim Lesen von Audre Lordes Essays war, dass diese Texte zu ihrer Dichtung als ihr Hauptwerk hinführen. Auch ihr politischer Aktivismus äußert sich ja vorrangig über die Literatur.
Ja, in einigen Essays setzt sie sich damit auseinander, warum Lyrik zu ihrer Zeit so wenig Beachtung findet und warum diese aber gerade auch eine Ausdrucksform von Frauen* ist, die nicht zum privilegierten Teil der Gesellschaft gehören. Es gibt einige schöne Szenen, zum Beispiel wenn sie beschreibt, wie Frauen* ein Gedicht auf einen Einkaufszettel kritzeln oder in der Mittagspause im Krankenhaus dichten. Sie bezieht sich an solchen Stellen auch auf den weißen Feminismus und seine Bezugspersonen, Virginia Woolf beispielsweise, von der Audre Lorde schreibt, dass sie neben vielen anderen Ressourcen auch „ein Zimmer für sich allein“ brauchte. Da werden die gesellschaftspolitischen Unterschiede sehr deutlich aufgezeigt.
Das Dichten, so klingt es in Audre Lordes Essays an, war schon immer ein Teil von ihr. Sie beschreibt, wie die Worte von Anfang an aus ihr herausmussten.
Audre Lorde sagte sogar, dass sie bis zum Alter von vier Jahren nur in Gedichten gesprochen hat. Wenn sie jemand etwas fragte, dann habe sie nur mit einem Gedicht geantwortet. Erst mit Gedichten, die sie gehört und gelesen hatte, später dann mit eigenen. Wichtig war ihr die Betonung von Gefühl. Um zu dichten, sagte sie, müsse sie tief in sich hineingehen und ihre Gefühle aus sich herausholen. Diese hat sie dann in Lyrik übertragen. Ein Schrei sei noch kein Gedicht, aber ich kann eines daraus machen, schrieb sie. Wenn dieses Gedicht dann bei den Anderen die gleiche Empfindung hervorruft, die ich dabei habe oder die ich mir wünsche, dann steckt darin auch ein großes Handlungspotential. Das ist ein ganz anderes Verständnis von Dichtung, als wir es hier in Deutschland haben. Audre Lordes Lyrik sollte unbedingt auch hierzulande einen anderen Stellenwert erhalten. Mein Wunsch ist es, dass nicht nur an den Universitäten, sondern auch im restlichen Bildungssystem andere Lektüren vorgeschlagen und gelesen werden, damit wir uns in Deutschland endlich von der Idee verabschieden, dass die großen Dichter alle weiß, männlich und tot sind.